Xxii. §. 6. Erstes Hervvrtreten Frankreichs als Feind und Dränger rc. 443
nackte Eigennutz, die selbstsüchtige Vereinzelung, kühle Berechnung, ver-
standesmäßige Abwägung des Maßes der zu gewährenden Freiheiten und
Wohlthaten — vergebens sehnt man sich nach einem warmen Hauch
der gegenseitigen Liebe und anhänglichen Vertrauens. Von Frank-
reich ist die neuere kalte, selbstsüchtige, herzlose Staatskunst ausgegan-
gen, und Philipp Iv. war ihr Vater. Er zuerst hatte ein Christen-
reich losgelöst aus dem großen Verbände der ganzen Christenheit, nur
dieses einigen Landes und seines Beherrschers Vortheil gesucht, unbe-
kümmert um das Wohl und Wehe der gesammten übrigen Welt oder
um die höheren sittlichen Güter der eignen Unterthanen. Mit schnel-
len Schritten begann Frankreich der traurigen Rolle zuzueilen, den
westlichen Staaten Europa's ein Führer zu werden zum Unglauben, zur
Politik der Selbstsucht, zur Sittenlosigkeit, zum Abfall von Allem, was
heilig und ehrwürdig ist. Es lagen zwar noch Zeiten schwerer Demü-
thigung für Frankreich selber dazwischen, aber Philipp Iv. hat das
Ziel klar genug für seine Nachfolger gewiesen, und sie haben seine Wei-
sungen später wohl begriffen und angenommen.
§. 6. Erstes Hervortreten Frankreichs als Feind und
Dränger Deutschlands.
Schon Philipp Iv. hatte die Gelegenheit benutzt, und während
die Deutschen wieder durch innere Zerwürfnisse behindert waren, das
Gebiet von Lyon, welches den Lehenrechten nach zum deutschen Reiche
gehörte, an sich gerissen und damit den Anfang gemacht aller jener
kleinlichen Veruntreuungen und Beraubungen, durch welche die deut-
schen Grenzen im Laufe der Jahrhunderte von den Ufern der Rhone
bis an die Ufer des obern Rheins zurückgeschoben wurden. Ebenso
machte er es in Flandern und Lothringen. Sodann hatte er den Papst
gedrängt, einem französischen Prinzen, seinem Bruder, nach Albrech t's
Tode die deutsche Königskrone zu verschaffen, und so sehr war da-
mals schon der päpstliche Hof in der Gewalt des Franzosenkönigs,
daß der Papst es gar nicht mehr wagte, die Forderung offen abzu-
schlagen. Nur durch unwürdige List wußte er, den Wünschen des
Königs zuwider, die Wahl auf den tapfern und unternehmenden
Heinrich Vii. aus dem Hause Luremburg zu lenken (1308—1313).
Nach dessen baldigem Tode trat in Deutschland anfangs durch eine
zwiespältige Kaiserwahl (neben Ludwig von Bayern wurde Fried-
rich von Oestreich erwählt), dann nach Fried rieh's Ueberwindung
und Rücktritt durch die Unbeständigkeit, Charakterlosigkeit und das
unweise Benehmen des Kaisers Ludwig eine Zeit ein, welche recht
dazu gemacht schien, um das ganze Elend des päpstlich-französischen
Uebermuths mit voller Wuth auf unser Vaterland fallen zu lassen.
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Extrahierte Personennamen: Philipp_Iv Philipp Philipp_Iv Philipp Philipp_Iv Philipp Heinrich_Vii Heinrich Ludwig_von_Bayern Ludwig Oestreich Fried Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Frankreich Frankreich Frankreichs Deutschlands Lyon Rheins Flandern Lothringen Albrech Franzosenkönigs Deutschland
Xxiv. §. 10. Ausgang des dreißigjährigen Krieges. 553
lich um den Gewinn betrogen zu werden. Es war der schon ge-
nannte Bernhard von Weimar, der länderlose Fürst, der durchaus
sich ein Herzogthum erkämpfen wollte, sei es mit evangelischer, sei es
mit katholischer Hülfe. Durch Gustav Adolf'stod und die Nieder-
lage von Nördlingen war ihm sein erträumtes Herzogthum Franken
verloren gegangen, jetzt wollte er unter französischem Schutz das El-
saß gewinnen. Er gewann es und starb, wie er selbst meinte, an
französischem Gift. Das Elsaß aber behielten hohnlachend die Fran-
zosen bis auf diesen Tag. Desto fester schaarten sich die Deutschen,
auch die Protestanten, um ihren Kaiser. Ehe er starb (1637), hatten
sie ihm seinen Sohn Ferdinand 11!. einmüthig zum Nachfolger er-
wählt. Und wie gern hätte der neue Kaiser seinen Verbündeten und
seinen Unterthanen den Frieden wiedergegeben. Aber was einmal
versehen war, ließ sich jetzt so leicht nicht wieder gut machen. Deutsch-
land und auch die kaiserlichen Erblande mußten den ganzen tiefen
Kelch des Leidens ausleeren, den der Herr ihnen ob ihrer schmachvol-
len selbstsüchtigen Zerrissenheit eingeschenkt hatte. Erst jetzt begannen
die Fremden recht mit ihrer ganzen Rohheit, mit viehischer Gemein-
heit und teuflischer Grausamkeit im deutschen Reich und in des Kai-
sers Landen zu schalten. Ein schwedischer General löste den andern
ab, aber alle waren sie sich gleich in dem erbarmungslosen Frevel-
muth, mit welchem sie jeden Winkel Deutschlands durchplünderten,
verheerten und gänzlich zu Grunde richteten. So Ban er in Sachsen
und Böhmen, Torstenson vor Wien und in Holstein, Wränge!
und Königsmark in Böhmen und am Lech — es ist eine trostlose
Jammergeschichte, so unser edles deutsches Vaterland von den zermal-
menden Fußtritten dieser fremden Horden, von einem Ende bis zum
andern in Grund und Boden getreten zu sehen. Und ihnen zu Hülfe
kamen voll Freude über das herrliche Gelingen ihrer heimtückischen
Pläne die Franzosen unter Guebriant, Turenne und Enghien.
Wie haben sie die Pfalz und Schwaben verheert, wie haben sie den
Kurfürsten von Bayern geängstigt! Er, einer der vornehmsten Mit-
urheber des Krieges, mußte am Ende desselben noch die Hefen aus-
trinken, und in seinem hohen Alter noch als länderloser Flüchtling
umherirren, ehe endlich, endlich das „süße Fried- und Freudenwort"
erscholl.
Aber welch ein Friede! Wie erniedrigend für unser Vaterland, wie
unheilvoll für die Zukunft. Das war noch bei Weitem nicht das
Schlimmste, daß Schweden nun doch einen Theil der Ostseeländer, ja
auch der Nordseeländer (wenn auch unter kaiserlicher Oberhoheit) er-
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Extrahierte Personennamen: Bernhard_von_Weimar Gustav_Adolf'stod Gustav Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Sachsen Wien Holstein Schweden
Xxiv. §. 3. Beginn der Gegenreformation in Deutschland. 527
zosen sammt den Deutschen stellten Forderungen, welche dem Papst
in's Ungemessene zu gehen schienen, die ihn säst seiner Macht zu be-
rauben, ihn wieder zum einfachen Bischof von Rom zu machen drohten.
Die heiligen Väter in Trident geriethen in bitterm Kampf und Hader
fast thätlich aneinander. An eine Einigung, an eine allgemein gül-
tige Beschlußnahme schien nicht mehr zu denken. Da erkannte der
Papst klar, daß mit den Theologen nicht weiter zu kommen sei, und
wandte sich deshalb direct an die Fürsten. Einen nach dem andern,
den Kaiser, die Könige von Frankreich und Spanien u. a. beschickte er
durch seine klügsten und geschicktesten Unterhändler, ließ sich ihre For-
derungen vorlegen, gewährte ihnen Einiges, beschwichtigte sie wegen des
klebrigen, und bewog sie, ihre Gesandten und Theologen aus dem Concil
zu einem ruhigern Tone anzuweisen. Auf diese Weise kam man zum
Schluß. Man hatte eingesehen: nicht auf Concillen, sondern auf Un-
terhandlungen zwischen Papst und Fürsten mußten von jetzt an die
streitigen Fragen innerhalb der katholischen Kirche verwiesen werden,
und die Diplomatie trat an die Stelle des Forschens nach Recht und
nach Wahrheit.
§. 3. Beginn der Gegenreformation in Deutschland.
So ausgerüstet mit einer unantastbaren Glaubenslehre und mit
schweren Bannflüchen gegen jede Ketzerei, durch die entschiedensten
Concilienbeschlüsse zu einem frommen Bezeigen, zu erneuter gottesdienst-
licher Strenge angewiesen, durch neue geistliche Anstalten und Orden,
insonderheit durch die gewandten, klugen und rücksichtslosen Jesuiten
neu gekräftigt, trat nun die katholische Kirche abermals zum Kampf
hervor. In allen Ländern, wo der Protestantismus Eingang gefun-
den hatte, begann dieser Kampf. Ueber ein Jahrhundert hat es ge-
dauert, bis sich die Grenzen der beiden Kirchen so festgestellt haben,
wie wir sie jetzt noch vor uns sehen. Und wenn wir dabei auf unser
Vaterland blicken, so müssen wir sagen, der Katholicismus hat ein
ungeheures Gebiet wieder gewonnen, fast die Hälfte Deutschlands.
Das ganze Rheinland und das ganze Donauland, Westphalen, Fran-
ken, Böhmen und Schlesien ist wieder in seine Hände gerathen. Diese
spanischen und italienischen Jesuiten haben die Deutschen auf ihrem
eignen Grund und Boden überwunden. Sie waren in sich einig, fest
zusammengeschlossen, hatten einen einzigen Zweck vor Augen, den sie
alle nach festen Vorschriften, im strengen Gehorsam, mit Ausbietung
aller ihrer Kräfte verfochten. Das gab ihnen so erstaunliche Erfolge.
Kaiser Ferdinand hatte auf den Rath seines Beichtvaters (1551)
die ersten Jesuiten nach Wien gebracht und ihnen dort ein Collegium
eingerichtet. Etliche Jahre später finden wir sie in Köln, wo sie
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Extrahierte Personennamen: Ferdinand Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Rom Frankreich Spanien Deutschland Deutschlands Schlesien Wien
Xxiv. §. 8. Ausbruch des dreißigjährigen Krieges, 1618. 547
Glatz, in Mahren. Auch die friedliche Genossenschaft der mährischen
Brüder wurde zersprengt, der Strom des Katholicismus erfüllte alle
östreichischen Lande an allen Enden. Und, müssen wir hinzusetzen,
in Folge des sich weiter spinnenden Kriegs erfüllte er bald auch das
ganze obere Deutschland; ja schon sind die mittleren, schon werden
die norddeutschen protestantischen Stifter bedroht, Halberstadt, Mag-
deburg sind wieder in katholischen Händen, Bremen, Verden, Minden,
Camin, Havelberg, Schwerin werden von ihnen zurückgefordert; ganz
Deutschland scheint dem Andrang des waffengewaltigen Katholicismus
und der kaiserlichen Uebermacht rettungslos unterliegen zu müssen.
Da fing es an, sich zu erfüllen, was die weiseren Kurfürsten dem
unbesonnenen Friedrich v. d. Pfalz vor der Annahme der böhmischen
Königskrone warnend und weissagend geschrieben hatten: es würde aus
seinem Unterfangen ein Bruderkrieg entstehen, der die deutsche Freiheit
in Knechtschaft verwandeln, fremde Völker zu Herren in Deutschland
machen und ein unabsehbares Elend über das Vaterland herbeiführen
würde. Denn nicht ging mit der Wiedereroberung Böhmens der un-
selige Krieg zu Ende. Dreißig lange, schwere Jammerjahre hat die in
Böhmen entzündete Flamme fortgelodert, hat ihre dunkeln, verzehren-
den Gluthen von Osten nach Westen, von Süden nach Norden fortge-
wälzt, hat Dänemark, Schweden, Frankreich, Italien, Spanien, hat
allmälig ganz Europa mit ergriffen und einen ungeheuren Brand er-
nährt, dessen Heerd und Mittelpunkt unser unglückliches Vaterland
bleiben mußte. Da ist das Grab der deutschen Herrlichkeit gegraben
worden, und die einstmals eine Fürstin war unter den Völkern, ward
jetzt zur Magd, ein Raub und Spott der Fremden. Es haben aber
beide Confesfionen mit gleichem Fleiß an solcher Selbstzersteischung
unseres Landes mit geholfen. War von den protestantischen Böhmen
und vom reformirten Friedrich v. d. Pfalz der erste Schritt gethan,
so that Herzog Maximilian von Bayern mit seiner katholischen Liga
den zweiten Schritt. Er wollte sich den Kurfürstenhut erwerben und hat
ihn auch erworben. Dazu mußte er den pfälzischen Friedrich, ihn selbst
und alle seine Nachkommen ihres Kurfürstenthumes berauben. Das that
er, sobald Böhmen bezwungen war. Da ließ er zuerst die Oberpfalz *)
wegnehmen, dann die Unterpfalz. Alles wurde wieder katholisch; in Hei-
delberg wurde wieder die Messe gelesen, die berühmte Heidelberger Bi-
bliothek als Geschenk nach Rom an den Papst geschickt. Und nun
wäre vielleicht der Krieg zu Ende gewesen, wenn nicht etliche unberu-
fene, kriegslustige, kleine protestantische Fürsten in thörichtervermessen-
heit und kurzsichtiger Beutelust die Truppen der Liga und die Spanier,
die am Oberrhein standen, noch länger im Felde gehalten und hinter
*) Das jetzt bayerische Gebiet an der böhmischen Grenze von Regenöburg nörd-
lich bis in die Gegend des Fichtelgebirges.
35*
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_v Friedrich Friedrich_v Friedrich Maximilian_von_Bayern Maximilian Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Halberstadt Bremen Minden Havelberg Schwerin Deutschland Deutschland Schweden Frankreich Italien Spanien Europa Hei- Rom Regenöburg
548 Xxiv. §. 9. Gustav Adolf in Deutschland, 1630—32.
sich her in die niederdeutschen Gebiete gezogen hätten. Christian
von Anhalt, Christian von Braunschweig und Halberstadt, der Graf
von Mansfeld, der Markgraf von Baden, die sind es, welche zuerst die
Greuel des dreißigjährigen Krieges herbeigeführt. Mansfeld stellte
zuerst den Grundsatz auf, daß der Krieg den Krieg ernähren müsse,
und gab das Beispiel zu jenen gräßlichen Räubereien und Brand-
schatzungen, durch welche solch unsägliches Elend über Deutschland ge-
bracht ist. Die Gewaltthaten und Zügellosigkeiten des halberstädtischen
Christian in Niedersachsen und Westphalen, wo noch gar keine Ver-
anlassung zum Kriege vorlag, zeigten dem katholischen Heere den Weg
in die nördlichen Landschaften. Nachdem der ligistische Feldherr Tilly
den Markgraf von Baden zur Ruhe gebracht, den Mansfeld über
den Main hin vor sich hergejagt, erschien er mit seinem katholischen
Heer an den niedersächstschen Grenzen. Mansfeld und Christian
waren nach den Niederlanden entwichen, und wären sie nur da geblie-
den! Aber in unseliger Fehdelust, von dem hinterlistigen Frankreich,
welches Oestreich schwächen wollte, aufgereizt, mit niederländischem Gelde
versehen, brachen sie mit ihren wilden Räuberschaaren wieder in's Ost-
friesische und Westphälische hinein, so daß selbst die protestantischen
Stände sich gegen sie zur Wehre setzen mußten. Und nun zum Ueber-
stuß kam auch der dänische König, ebenfalls von den Franzosen be-
trogen, in's deutsche Reich hereingerückt, ward aber von Tilly bei
Lutter am Barenberge gänzlich geschlagen (1626). Nun verwandelte
sich aber die bisherige Vertheidigung der Katholiken erst recht in einen
Angriffskrieg; nun stellte auch der Kaiser unter dem dämonischen
Manne Albrecht von Wallenstein ein eignes Heer auf, und von
Osten wie von Westen her ergossen sich nun die katholischen Waffen
über das ganze nördliche Deutschland, bis an die Nordsee und an die
Ostsee, ja durch Schleswig bis nach Jütland, und nur das Kattegat
setzte ihrem weitern Vordringen eine Grenze. Da hatte es auch der
Kaiser keinen Hehl mehr, daß er diese ihm selbst unerwartete Fülle
von Macht und Sieg zur Aufrichtung einer solchen Kaiserherrschaft zu
gebrauchen gedenke, wie Deutschland sie seit Jahrhunderten nicht mehr
gesehen, wie Karl V. sie auf dein Höhepunkt seiner Macht kaum einen
Augenblick besessen hatte. Der Papst und die ganze katholische Welt
jauchzte, daß nun die Zeit gekommen sei, wo die ganze abgefallene
Christenheit wieder unter den Gehorsam der Kirche könnte gebracht
werden, und schon erschien das Rest itutio n se d ic t, wonach alle
norddeutschen ehemaligen Bisthümer, Abteien und Stifter der katholi-
schen Kirche sollten zurückgegeben werden (1629).
§. 9. Gustav Adolf in Deutschland, 1630—32.
Fragen wir nach dem Grunde all des unsäglichen Mißgeschicks,
welches bis hierher schon über Deutschland hereingebrochen war, so
ist es die völlige Auflösung der deutschen Einheit. Seitdem Katho-
liken und Protestanten sich wieder wie zwei feindliche Heere gegen-
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Extrahierte Personennamen: Gustav_Adolf Gustav Adolf Christian
von_Anhalt Christian_von_Braunschweig Christian Tilly Christian Oestreich Tilly Albrecht_von_Wallenstein Albrecht Karl_V. Karl_V. Gustav_Adolf Gustav Adolf
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Halberstadt Mansfeld Baden Mansfeld Deutschland Niedersachsen Baden Mansfeld Main Mansfeld Frankreich Deutschland Nordsee Ostsee Deutschland Deutschland Deutschland
Xxv. §. 5. Preußens Herrlichkeit unter Friedrich Ii. rc. 577
rede gegen solchen Kirchenzwang nur desto stärker, und die Wirkung
des ganzen Verfahrens schlug bald genug in das Gegentheil um.
§. 5. Preußens Herrlichkeit unter Friedrich Ii. und der
wachsende Unglaube.
In der langen Jammergeschichte der Schwächung und Verach-
tung unseres Volks und Vaterlandes fühlen wir uns plötzlich wie von
einem erfrischenden, belebenden Hauche angeweht, indem wir dem
Helden des vorigen Jahrhunderts, Friedrich Ii., begegnen. Wie
ein Jahrhundert früher das Gestirn Ludwig's Xiv. in Frankreich
aufgegangen war, so jetzt die Sonne Friedrich's Ii. von Preußen
(1740—86). Aber es war ein großer Unterschied zwischen beiden.
Bewundert, angestaunt, gepriesen, gefeiert sind sie beide, aber nach-
geahmt konnte nur der Franzose werden. Denn Ludwig Xiv. be-
saß ja durchaus keine ungewöhnlichen geistigen Eigenschaften und ab-
sonderliche Talente; nur der theatralische Schein und Pomp, mit dem
er sich umgab, nur die Pracht und Liederlichkeit seines Hofes und
Wesens, nur seine ungeheure Lügenhaftigkeit und Frechheit, seine rück-
sichtslose Vergötterung des eignen Jch s, das war es, was die Leute
in einem fortwährenden Taumel der Bewunderung erhielt; aber der-
gleichen ist nicht schwer nachzuahmen. Bei Friedrich Ii. hingegen,
was wollte man an ihm nachahmen? Etwa seine äußere Haltung,
seine unscheinbare Kleidung, seinen militärischen Ueberrock, seinen Krück-
stock sammt Reitstiefeln und Windhunden? Aber wer hätte auch nur
in dem königlichen Blick des durchbohrenden Auges, wer hätte in dem
innern Adel des ganzen Wesens ihm gleichen können? Und vor allen
Dingen, wer hätte seine Siege erfechten, seine Thaten ihm nachthun,
in Reden und Schriften ihm nacheifern können? Alles, was Fried-
rich war und leistete, das war und leistete er durch die ihm ver-
liehene hohe Geisteskraft, durch den Genius, der in der kleinsten wie
in der größten Handlung, Rede und Bewegung in eigenthümlicher,
neuer und schöpferischer Weise hervortritt. Durch den ihm allein vor
allen Zeitgenossen mitgegebenen durchdringenden, umfassenden, urkräf-
tigen Geist hat er Preußen groß gemacht und den Ruhm seines Na-
mens für alle kommenden Geschlechter und Jahrhunderte begründet.
Fügen wir hinzu, daß einem preußischen Fürsten nie eine schönere Ge-
legenheit zur Vergrößerung seines Reichs und zur Erwerbung kriege-
rischen Ruhmes geboten worden ist, als ihm gleich nach seinem Re-
gierungsantritt bei dem plötzlichen Tod Kaiser Karl's Vi. (7 1740).
Da fanden sich glücklicherweise noch alte rechtliche Ansprüche der bran-
V. Rohden, Leitfaden. 37
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Friedrich_Ii Friedrich Friedrich_Ii Friedrich Ludwig_Xiv Ludwig Friedrich_Ii Friedrich
552 Xxiv. §. 10. Ausgang des dreißigjährigen Krieges.
anderes Elend als das des dreißigjährigen Krieges würde dem Umsturz
der deutschen Verfassung und der Untergrabung des deutschen Wesens
gefolgt sein.
§. 10. Ausgang des dreißigjährigen Krieges.
Nach Gustav Adolf's Tode hatte sein Kanzler Orenstierna
die politische, der Herzog Bernhard von Weimar die militärische
Leitung der schwedischen Angelegenheiten übernommen. Aber das Ver-
trauen der Protestanten zu den Schweden war dahin. Ein Jeder
wünschte, daß sie doch nur Deutschland wieder verlassen möchten. Beson-
ders nach Wallenstein's Tode, da die Furcht vor den kaiserlichen Heeren
sich minderte und auch der Kaiser friedfertigere Gesinnungen offenbarte,
ward es dem schwedischen Kanzler schwer, die deutschen Fürsten noch
im schwedischen Interesse zusammenzuhalten. Nur die Furcht vor der
schwedischen Kriegsmacht verhinderte noch die förmliche Lossagung der
Deutschen von den Schweden. Als aber die letzteren in der Schlacht
bei Nördlingen durch den Sohn des Kaisers Ferdinand auf's
Haupt geschlagen waren, da schlossen sich die Deutschen sogleich mit
Freuden an den Kaiser an. Kursachsen voran, schlossen sie den
Frieden zu Prag (1635), wodurch der augsburger Religionsfriede be-
stätigt, das Restitutionsedict zurückgenommen und aller Anlaß zu Kla-
gen der Protestanten wider katholische Bedrückungen aus dem Wege
geräumt wurde. Fast ganz Deutschland, auch alle protestantischen
Fürsten und Städte traten diesem Frieden bei. So war also jede
Ursache zur weitern Fortsetzung des Krieges entfernt. Nach 17 lan-
gen Leidensjahren hätte unser Deutschland einer lang ersehnten Ruhe
genießen können, wenn — Schweden und Franzosen nicht gewesen
wären. Die Schweden wären wohl noch aus dem Reiche zu ver-
jagen gewesen; sie waren auch selbst des Krieges müde, und hätten
gern Frieden gehabt, wenn ihnen nur eine erwünschte Entschädigung,
etwa die deutschen Ostseeländer wären eingeräumt worden. Aber
was hätte Frankreich bewegen sollen, seine Kriegspläne aufzugeben?
Bisher hatte dieser Erzfeind des deutschen Namens nur von ferne ge-
standen und voll Freuden das Feuer geschürt, welches Deutschland
verzehrte. Jetzt entschloß er sich, mit eignen Streitkräften in's Feld
zu rücken, um so viel als möglich von dem deutschen Gebiet abzurei-
ßcn und mit Frankreich zu vereinigen. Und schon fand sich unter den
Deutschen selbst ein bethörter Fürst, der um eines schnöden Gewinnes
willen, den man ihm vorspiegelte, sein Vaterland an den welschen
Nachbar verrieth, um dann spater, wie es Verräthern geht, schmäh-
TM Hauptwörter (50): [T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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Extrahierte Personennamen: Gustav_Adolf's Gustav Bernhard_von_Weimar Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Schweden Deutschland Schweden Deutschland Deutschland Schweden Frankreich Deutschland Frankreich
Xxv. §. 5. Preußens Herrlichkeit unter Friedrich Ii. rc. 579
resia, Kaiser Franzi., aufbieten. Aber die erregte keinen Schrecken
mehr, sondern nur Spott und Heiterkeit. Seitdem das deutsche Reich
in Trümmer gegangen war, war auch die deutsche Kriegsverfassung,
mit der es nie sehr glänzend gestanden hatte, in völlige Nichtigkeit
aufgelöst. Nur Sachsen konnte für Preußen noch gefährlich werden,
weil das sächsische Gebiet so tief in das Herz des preußischen Staa-
tes hineinragte. Deshalb galt auch die erste Unternehmung Fried--
rich's der sächsischen Armee, die er gefangen nahm, und dem
sächsischen Lande, welches er unter preußische Verwaltung stellte.
(Der katholische Kurfürst August Iii. sammt seinem katholischen Mi-
nister Brühl flüchtete zur Freude seiner Unterthanen nach Polen, des-
sen tief entwürdigte Königskrone schon der Vater Augustii. um den
Preis des Confessionswechsels 1697 sich erworben hatte.) Dann schlug
er die Oestreicher bei Lobositz und Prag, konnte sich aber doch
in Böhmen nicht halten, da er die Schlacht bei C oll in verlor. Die
übermüthigenfranzosen schlug er bei Roßbach, die Oestreicher aber-
mals bei Leuthen. Nur die Russen konnte er von seinem Ost-
preußen nicht abwehren, sie besetzten das ganze Land, sie rückten bis
an die Oder vor und bedrohten Berlin; sie ließen sich auch durch den
Sieg, den Friedrich bei Zorndorf über sie gewann, nicht zurück-
treiben, sondern vereinigten sich mit dem östreichischen Heere, das in
Schlesien stand, und warfen in der mörderischen Schlacht bei Kuners-
dorf 1759 Friedrich's ganze Armee auseinander. Und nun folgte
ein Unglück nach dem andern. Halb Schlesien, halb Sachsen, halb
Pommern, halb Brandenburg war in Feindes Händen, Ostpreußen
gehörte den Russen, in den rheinischen und westphälischen Besitzungen
Friedrich's schalteten die Franzosen. Die Engländer, welche mit
Geld und Truppen dem König im nordwestlichen Deutschland beige-
slanden hatten, fingen an sich zurückzuziehen; der Kern der preußischen
Armee lag auf den Schlachtfeldern begraben oder schmachtete in Kriegs-
gefangenschaft, die neu angeworbenen Recruten konnten das nicht lei-
sten, was Friedrich von seinen tapferen Veteranen zu fordern ge-
wohnt war, die Hülfsmittel des Landes waren erschöpft, der Schatz
leer, Friedrich oft nahe am Verzweifeln. Aber der Herr, der sich
an dem preußischen Staate und an Friedrich selber bis dahin so
hoch verherrlicht hatte, führte ihn nur deshalb in die Tiefe, um ihn
mit seiner allmächtigen Hand emporzuheben und zu Ehren zu bringen.
Nicht durch eigne Kraft würde Friedrich sein Ziel erreicht haben,
so herrliche Gaben er auch empfangen hatte, nicht die Siege bei
Liegnitz und bei Torgau vermochten ihn zu retten, sie dienten
37*
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Franzi August Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Polen Lobositz Prag Roßbach Berlin Schlesien Sachsen Brandenburg Deutschland Liegnitz Torgau
616 Xxv. §. 9. Deutschlands Elend, Schmach und Knechtschaft.
Das deutsche Reich ward aufgelöst (1806), der Rheinbund machte das
ganze südliche und westliche Deutschland zu Frankreichs Vasallen, Oestreich
hatte Frieden schließen müssen, England war durch die Besetzung Hannovers
tödtlich beleidigt. Niemand stand für Preußen ein, da es sich zum ent-
scheidenden verderblichen Kampfe entschloß. Nur Rußland blieb sein
treuer Waffengefährte; aber es war zu weit entfernt. Ehe seine Heere
heranrücken konnten, war schon ganz Preußen über den Haufen gewor-
fen. Es war kein Krieg; es war ein Anstürmen von der einen Seite
und ein erschrockenes Auseinanderfliehen von der andern Seite. In
weniger als drei Monaten war der Kampf beendet und Napoleon
hielt seinen Einzug, wie in Berlin, so in Warschau und Königsberg.
Alles, worauf Preußen seit Friedrich's Zeiten stolz gewesen war,
sein Heer, seine Festungen, seine Finanzen, sie waren in einem Um-
sehen wie Spreu vor dem Winde zerstoben. Erst unter dem Schutze
der herbeieilenden russischen Armeen, hart an der russischen Grenze
versuchte der König noch einmal das Waffenglück. Die Schlachten
bei Eylau, bei Friedland entschieden gegen ihn; er war aufdem Punkt,
als Flüchtling sein Reich zu verlassen, und nur Rußlands Fürsprache
verschaffte ihm im Frieden zu Tilsit sein halbes Königreich wieder
(1807). Die andere Hälfte, jenseits der Elbe ward mit Hessen
und allen kleinen dazwischen liegenden Ländern zu einem Königreich
Westphalen gemacht und dem heillosen Hieronymus Napoleon
übergeben. Bald kamen auch die sämmtlichen noch übrigen Theile
des westlichen Norddeutschland unter französischen Scepter bis an die
Ostsee, und die französischen Maires, Präfecten und Gouverneurs
schalteten und walteten im größten Theil unseres Vaterlandes mit
der niederträchtigsten Gemeinheit, Geldgier und Uebermuth. Nicht
minder die französischen Marschälle, Generäle, Offiziere und Soldaten
in dem zurückgebliebenen Theil von Preußen. Denn das ganze Land
blieb so lange und länger noch von französischen Truppen besetzt, bis
die unerschwingliche Kriegssteuer herausgepreßt war. Erst Ende De-
cember 1808 verließen die französischen Truppen Berlin und die
Preußen konnten wieder einziehen. Was nur irgend an Ränken und
Kniffen, an Beleidigungen und Verhöhnungen zu erdenken war, das
that Napoleon und alle seine Helfershelfer sicherlich, um Preußen
immer tiefer zu erniedrigen, zu schwächen, und bei nächster Gelegen-
heit vollends zu vernichten. Wie ein Gefangener, Angeschmiedeter
mußte Preußen es mit ansehen, als 1809 sich Oestreich noch ein-
mal gegen Frankreich erhob, und nach kurzem, aber rühmlichem Kampf
wiederum niedergeschmettert, zertheilt und verkleinert wurde. Noch war
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Extrahierte Personennamen: Oestreich Napoleon Napoleon Napoleon Oestreich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschland Frankreichs England Berlin Warschau Königsberg Friedland Hessen Norddeutschland Ostsee Berlin Frankreich
62-1 Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
thum, welches den Franzosen hatte in die Hände fallen und sie stär-
ken können, vernichtet. Ohne Obdach, ohne Nahrung, ohne Kleidung,
ohne jegliche Möglichkeit der Verpflegung sollte das französische Heer
dem schrecklichen russischen Winter entgegengehen. Und der Herr,
der über den Wollen thronte, gab sein Ja zu diesem kühnen Plan,
und schickte eine Winterkälte so früh, so gewaltig, so durchdringend
(die Kälte stieg über 26 Grad), daß eben nur russische Krieger der-
gleichen ohne Schaden zu ertragen vermochten. Und dann wieder,
da dem zurückkehrenden, verstörten, erfrierenden, verhungernden Heere
das winterliche Eis noch hätte zur Brücke dienen mögen, ihm den
Uebergang über die Ströme zu erleichtern, da gerade ließ derherr —
mitten im Winter und zur ungewöhnlichsten Zeit plötzliches Thauwetter
eintreten, und in den Flnthen der Beresina fanden die letzten noch
einigermaßen zusammenhängenden Reste der vor wenig Monaten noch so
hochstolzierenden Hauptarmee ihren Untergang. Und wie sie nun wieder
über die deutschen Grenzen hereinkamen, die elenden halbnackten Gestalten,
in die abenteuerlichsten, schmutzigsten Lumpen gehüllt, von Hunger und
Krankheit fast unkennbar geworden — ach ja, welches mitleidige Herz hätte
da nicht Erbarmen und Samariterdienst üben sollen.
Aber es ging nicht bloß ein schauerndes Gefühl der göttlichen Gerech-
tigkeit durch das ganze Land, der göttlichen Gerechtigkeit, die dies ruchlose
Volk endlich gefunden hatte, das mit Brod und Eigenthum, Gesundheit
und Leben der besiegten Völker früher so greuelvoll und gotteslästerlich um-
gegangen war, sondern auch die allgemeine, erst leise, dann immer lau-
tere Hoffnung: jetzt sei die Stunde der Erlösung da. Und sie
war es. Freilich noch nicht so bald als die feurigsten Gemüther
meinten. Noch war ganz Preußen mit seiner Hauptstadt und allen
seinen Festungen in französischen Händen. Erst mußte der König sich
aus der fremden Gewalt nach Breslau gerettet, erst mußte Ostpreu-
ßen, von den Russen besetzt, sich mit einmüthiger Begeisterung zum
Kampf gegen die Dränger erhoben haben, erst mußte durch Aork's
Abfall vom französischen Heer jeder Weg zur Wiederverftändigung mit
dem ergrimmten Franzosenkaiser abgeschnitten sein, ehe der königliche
Ruf zu den Waffen, zu den Waffen erscholl, und jener Begeiste-
rungssturm in allen preußischen Provinzen hervorbrach, von Kem
kein edles Herz ohne die tiefste Empfindung lesen, dem nichtsaehnlicheö
in der deutschen, in der Weltgeschichte an die Seite gestellt werden
kann. Selbst jener vielbesungene begeisterte Aufbruch zu den ersten
Kreuzzügen, wie tritt er gegen die glorreiche Erhebung Preußens
zum Freiheitskampfe in den Hintergrund. Nicht bloß sich selbst, seine
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TM Hauptwörter (200): [T155: [Soldat Krieg Heer Land Mann Truppe König Waffe Geld Feind], T71: [Deutschland Krieg Preußen Volk Napoleon Frankreich Macht Frieden Europa Land], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]